„Kirmesrummel gehört dazu!“
Vom 18.09.2016
1972-05 - Münsterische Zeitung
Wolbeck. „Hier nun eine Schubkarre mit fünf Säcken Magermilchpulver drauf, startklar für die Fahrt nach Hause. Wer bietet?“ Fragend schaut Ausrufer Erich Schulte, das Mikrofon und die elektrische „Flüstertüte“ in der Hand, in die Runde. „Fünf Mark“, ruft ein ganz Vorsichtiger und erntet schallendes Gelächter. „Junge, dafür kriegen wir ja nicht einmal die Schreibgebühren raus, wer geht also höher?“ Und dann treibt Schulte: „Leute, macht schneller und überlegt nicht so lange, wir wollen gleich zum Vieh!“ Und da kommen die Angebote plötzlich Schlag auf Schlag. Für 90 Mark geht die Karre samt Inhalt schließlich an einen Bauern. Eine Dezimalwaage mit Gewichten — Schulte: „Sie ist auch geeicht, ich weiß nur nicht in welchem Jahr!“ — findet dagegen keinen Käufer. Niemand will dafür etwas bieten. Also die nächste Position, ein Satz Schraubenschlüssel.
So begann gestern Vormittag die Versteigerung alles lebenden und toten Inventars auf Gut Fronhof an der Alverskirchener Straße in Wolbeck. Kurz nach acht Uhr war Auktionator August Harling aus Hiltrup mit seinen Mitarbeitern erschienen und hatte im Büro des Gutshauses seine Unterlagen ausgebreitet.
Schon vor ihm kamen aber Geschäftsleute. Die einen stellten Bier und Bratwurststände auf, andere legten auf Tischen vor ihren Lieferwagen Werkzeug und Haushaltsgeräte aus. Sie wollten nichts versteigern, sondern neben der Auktion zu Festpreisen möglichst viel gutes Geld verdienen. Auch Aufträge für landwirtschaftliche Geräte wurden hier entgegengenommen.
„So ein bisschen Kirmesrummel gehört halt dazu, denn sonst kommt keiner mehr“, meinte einer der ersten Besucher. Danach gönnte er sich einen Korn und eine Bratwurst: „Erst mal stärken, dann klappt es nachher auch mit dem Bieten besser.“
Einige Stunden davor hatte Bauer Hans Pauli mit seinen Söhnen und Töchtern begonnen, das „tote Inventar", Maschinen, Werkzeuge, Geräte und sonstige Materialien, die zum Betrieb einer Landwirtschaft nötig sind, auf dem Hof aufzustellen oder auszulegen. Pauli war seit acht Jahren Pächter auf dem Hof, den er nun als 65-jähriger verlassen muss, da er keinen Nachfolger hat.
Bis zehn Uhr hatte sich das Grundstück mit Interessenten gefüllt. Die Zufahrt mit alten Kastanienbäumen hatte man gesperrt. Dafür war einige hundert Meter weiter eine Wiese zum Parkplatz umfunktioniert worden. Hier standen jetzt Pkw und Viehtransporter dicht nebeneinander. Wer sie zählen wollte, hätte spätestens bei der Zahl 100 aufgegeben. Es waren noch viel mehr.
Dann erschien Erich Schulte, bekannter Ausrufer bei den Viehmärkten in der Halle Münsterland. Er sollte lautstark Auktionator Harling unterstützen. Zuerst aber nummerierte er in den Ställen anhand einer Liste 103 Kühe und Rinder mit einem Filzstift. So konnte später kein Tier verwechselt werden.
Endlich waren alle Vorbereitungen getroffen. In dichtem Kreis umstanden die Interessenten Auktionator und Ausrufer, als die Versteigerungsbedingungen bekanntgegeben wurden. Als erstes kam der „Kleinkram", beginnend mit der Schubkarre, unter den Hammer. 30 Liter Motorenöl fanden für 35 DM einen neuen Besitzer, zehn Weidepfähle gingen für 20 Mark weg. Und als „Hofsicherung" erstand ein älterer Bauer für 65 DM ein neues Schreckschussgerät mit Munition.
Preise für einzelne Gegenstände vorher festzulegen, war unmöglich. Bei manchen Dingen wurde erst gar nicht geboten, bei anderen entstand ein richtiges „Versteigerungsfieber". Ein schwerer Amboss brachte nur 80 DM, weit weniger als den Schrottpreis. Eine Rolle Gartenschlauch ging im Preis so hoch, dass der Meter schließlich eine Mark kostete. Dazu kamen noch Mehrwertsteuer und Auktionsgebühren. „Den Schlauch hätte man im Großmarkt billiger bekommen“, stellte ein Beobachter fest.
Gegenstände bis zur 300 Mark konnten sofort bezahlt und mitgenommen werden. So entwickelte sich bald ein lebhaftes Gelaufe, denn jeder, der etwas ersteigert hatte, wollte das auch gleich in Sicherheit bringen. Langsam leerte sich der Hof. Hier ein Bündel Ketten für sieben Mark, dort ein Weidezauntrafo für 40 DM. Große Gewinne aber wurden nicht erzielt. Dazu Harling: „Der Gebrauchswert liegt eben meist über dem Versteigerungswert.“
„Achtung, Achtung! Wir kommen jetzt zur Viehversteigerung", ließ sich plötzlich Erich Schulte vernehmen. Sofort waren Maschinen und Geräte verwaist. Alles strömte zu einem Geviert, in dem die Kühe, bisher Stolz und Stütze des Hofes, vorgeführt wurden. „Eri, geboren am 26. 2. 66, gedeckt am 15. Mai 72, Durchschnittsleistung 4789 Liter mit 3,99 Fett, Tageskontrolle am 21. 4. 72: 25,8 Liter", verkündete Schulte.
Bei 1200 begannen die Gebote, und Schulte wie Harling konnten manchmal gar nicht so schnell notieren, wie die Preise stiegen. Bei 2250 DM erhielt Eri den Zuschlag. Alle Tiere erzielten ähnliche Preise. Nur bei der Nummer sechs hatte es Schulte etwas schwerer. Nicht weil er das „S“ bei der Zahl etwas scharf betont hatte, die Kuh trug auch noch als Name die Bezeichnung für Freudenmädchen.
Und wer ruft schon gern durch den Stall: „Komm N…!“ Aber 1700 DM brachte auch sie schließlich ein.
Bis zum Abend klang es immer wieder über den Hof: „Zum Ersten, zum Zweiten und zuuuum...!“ Schließlich kam kein Gebot mehr. Die Getränke und Bratwursthändler machten Kasse und schienen zufrieden. Nur einer war es nicht: Bauer Hans Pauli. Sein Lebenswerk hatte aufgehört zu existieren.